25 Jahre ist Mike Geitner inzwischen "im Geschäft". Bekannt geworden ist er u.a. durch sein System der "Dual-Aktivierung". Auch erkennbar an den Hilfsmitteln, den blauen und gelben Stangen. Aber Mike Geitner macht noch mehr. Er tauscht sich mit Wissenschaftlern aus, er beobachtet und gibt die Erkenntnisse an die Pferdeleute zurück. Mit zum Teil überraschenden Erkenntnissen.
Mike, wer besucht deine Kurse und was nehmen die Menschen daraus mit?
Das sind sehr verschiedene Leute. Ich führe in meinen Kursen aber auch Gespräche mit faszinierenden Gesprächspartnern wie Sportwissenschaftlern und Ärzten. Wenn man bereit ist zuzuhören, erhält man enormen Input. Das gilt für beide Seiten, wenn die Leute viel Lebenserfahrung haben oder viel Fachwissen mitbringen. Junge Leute neigen oft dazu, einen "Höhenflug" zu haben. Wissen kann man sich anlesen. Erfahrung nicht einfach angelesen werden. Man kann sie nicht kaufen, man muss sie erleben. Es wäre aber auch problematisch, mit 18 bereits alles zu wissen. Furchtbar wäre das. Wie soll man sich da entwickeln. Das müssen junge Menschen aber wissen. Wenn sie Kurse besuchen, profitieren sie von der Erfahrung, die sie sich nicht anlesen können.
Du bist schon sehr lange als Trainer tätig. Man hört ja öfter, dass die Reiter heute weniger Ahnung haben als früher. Wie ist dein Eindruck?
Seit 25 Jahren bin ich Trainer, und ja, die Zusammensetzung des Publikums hat sich verändert. Früher galt ich als der Trainer für schwierige Pferde, doch heute sind echte Problempferde selten. Jedenfalls bei mir. Die Leute kommen eher mit gut ausgebildeten Pferden, und die Herausforderungen liegen eher in der Muskulatur, Reha bei Pferden mit alten Verletzungen oder der allgemeinen Gesunderhaltung. Diese Kursteilnehmer sind meist sehr gut informiert und sie wollen ihren Pferden helfen. Das war früher ganz anders. Da kamen auch mal zwei Leute in die Halle, die ein Pferd in der Mitte an Ketten geführt haben, weil sie es nicht halten konnten. Sowas kommt bei mir heute höchstens noch ein- bis zweimal pro Jahr vor. Es geht viel mehr um Schiefheit oder Unregelmäßigkeiten im Bewegungsablauf. Niemand ruft mehr an und sagt, dass das Pferd nicht verladen werden kann. Solche Anfragen gehen heute wahrscheinlich an andere. Meine Kunden können ihre Pferde meist sehr gut verladen und auch im Umgang gibt es kaum Probleme. Stattdessen steht - wie gesagt - die Gesunderhaltung im Vordergrund. In vieler Hinsicht sind wir heute aber auch weiter. Auch wenn man die eigene Position im Umgang mit dem Pferd erarbeiten und auch verteidigen muss. Im Gegensatz zu früher gehts aber nicht um "Rangordnung" und strenge Erziehung. Da sind wir heute wirklich sehr viel weiter.
Du hast ja das Buch "Be strict" geschrieben. Das war im Jahr 2001. Jetzt ist dein Buch in der vierten Auflage erschienen. Gab es eine Überarbeitung?
Nein! Es ist immer noch mein Standardwerk und eine Überarbeitung ist nicht notwendig. Es ist bis heute hilfreich für alle, die nicht wissen "wo vorn und hinten ist", aber auch für alle, die mehr Fokus mehr auf das Körper- und Selbstbewusstsein des Pferdes legen. Und das wird oft unterschätzt oder auch falsch eingeschätzt. Selbstbewusstsein sollte nicht mit Ungehorsam verwechselt werden. Mangelndes Gleichgewicht, auch körperlich. führt immer zu Problemen mit dem Selbstbewusstsein. Und da fangen viele Probleme an. Das gilt auch für Menschen. Ich arbeite zum Beispiel auch mit Jugendlichen, die straffällig geworden sind. Sie führen die Pferde und lernen dabei viel über sich selbst, denn sie kennen sich selbst noch nicht. Zum Beispiel haben diese Jugendliche oft den Wunsch, Millionär zu werden, aber wenn man sie fragt, wie sie das erreichen wollen, haben sie keine Antwort. Ihnen fehlt eine klare Vision. Das ist aber wichtig. Deshalb brauchen sie Führung. Wer führt, bestimmt die Richtung, und das ist besonders beim Menschen wichtig. Das Pferd hat seinerseits ein Recht auf Führung, was aber nichts mit Rang zu tun hat. Gute Lehrer vermitteln das so, dass Mensch und Pferd daraus lernen. Bei Jugendlichen versuche ich, das Körperbewusstsein zu stärken. Auch mit Boxen in Zusammenarbeit mit der Work and Box Company. Das klingt erstmal absurd, aber je mehr sich die Jugendlichen ihrer Kraft bewusst werden, umso mehr schwindet die Unsicherheit und die ist bei vielen das Hauptproblem. Das Selbstbewusstsein wächst und die Jugendlichen erkennen, dass sie etwas erreichen können.
Ist das beim Pferd ähnlich?
Ja! Ein Pferd, das weiß, dass es stark und schnell genug ist, im Ernstfall zu fliehen, wird sicherer und mutiger. Dazu muss es körperlich stabil sein und im Gleichgewicht sein. Es muss so trainiert werden, dass es sich auch stark fühlen kann. Mit diesen Pferden kann man gut arbeiten. Sie fühlen sich sicher und sind aufmerksam.
Und wie ist es mit Pferden, die zu selbstbewusst sind?
Ich fürchte ranghohe Stuten die "still" und ruhig sind. Die wissen genau, was sie wollen, was sie nicht wollen und sagen dir das auch. Wenn man diese Warnungen in den Wind schlägt, "wirds dunkel". Das sind aber nur sehr wenige Pferde. 98 von 100 Pferden haben nur deshalb ein Problem, weil sie unsicher sind und deshalb unter Stress stehen. Sie haben ihre Balance verloren. Wir müssen ihnen helfen, sie zurückzubekommen. Solche Pferde sind oft unruhig, es fällt ihnen schwer, still zu stehen.
Mike Geitner ist Pferdetrainer und Autor das Buchs "Be strict", das 2023 in der vierten Auflage erschienen ist. Hier gehts zur Rezension.