Kürzlich erreichte uns ein wichtiger Hinweis zum Temperaturmessen von Pferden.
Carola Schiller
Was war passiert:
In einem Pensionsstall mit 60 Pferden war ein Turnierpferd an einem Infekt erkrankt. In der ersten Woche hatte das Pferd leichtes Fieber, mit über 38,4°C. Der Tierarzt behandelte die junge Stute und es ging ihr nach einer Woche erheblich besser. Trotzdem sollten die Besitzer weiterhin einmal täglich Fiebermessen, was sie auch taten. In dieser Woche schwankte die Temperatur zwischen dem Normbereich und leicht erhöhter Temperatur. Weil die Besitzer sich größte Sorgen machten, kam der Tierarzt erneut und maß eine normale Körpertemperatur. Als die Besitzer am Abend erneut die Temperatur messen wollten, war sie wieder gestiegen. Im Austausch mit anderen Pferdehaltern waren sich alle Beteiligten sicher, dass sie korrekt messen. Das Pferd selbst wirkte gesund.
Nach einer weiteren Woche überließ der Tierarzt den Besitzern ein Thermometer für Pferde. Von nun an war die gemessene Temperatur dauerhaft zwischen 37°C und 38°C, also normal.
Die Pferdebesitzer hatten ein Thermometer für Menschen verwendet. Der Tierarzt wies darauf hin, dass es hier Unterschiede bei den Thermometern gibt, was die Genauigkeit betrifft. Mittlerweile haben offenbar alle Pferdehalter ihre Thermometer entsprechend ausgetauscht.
Wie kann das sein, wenn es sich um genormte Thermometer handelt?
Wir haben bei Christiane Rippl nachgefragt. Christiane ist selbst Pferdehalterin und im Vorstand des Aktionsbündnisses Pro Pferd e.V. Sie ist aber auch Senior Produktspezialistin bei SIKA, einem Produzenten für Messtechnik im Bereich Temperatur, Strömung und Kalibriertechnik.
Carola Schiller: Christiane, kann es sein, dass das besagte Thermometer für Menschen beim Pferd nicht genau misst?
Christiane: Es kommt drauf an, was für ein Thermometer der Pferdehalter verwendet – und wie er es verwendet
Ich gehe einfach mal davon aus, dass es sich nicht um ein Glasthermometer mit Galinstanfüllung handelte, sondern um ein handelsübliches digitales Fieberthermometer, das zur Messung rektal eingeführt wurde.
Hier gibt es Unterschiede in der Fühlerlänge zwischen den Geräten für Menschen und speziell für Großtiere hergestellte Versionen. Geräte für Großtiere sind mit einem längeren Fühler ausgestattet. Gemessen wird üblicherweise mit einem NTC-Widerstand, der an der Spitze des Fühlers verbaut ist. Es ist also wichtig, dass der Fühler so tief eingeführt wird, dass der NTC tatsächlich der Körperinnentemperatur ausgesetzt ist. Meines Erachtens funktioniert das aber auch mit einem Gerät für den menschlichen Gebrauch.
Bei Vergleich einiger Bedienungsanleitungen von Fieberthermometern für Menschen und Großtiere stellte ich fest, dass die Genauigkeit beider Versionen mit den gleichen Werten angegeben wird. Fieberthermometer unterliegen grundsätzlich einer Norm (z.B. ISO 80601-2-56:2017 oder DIN EN 12470-5:2003-09 für Infrarotthermometer), die Anzeigegenauigkeit, Ansprechzeiten etc. festlegt und sollten über eine CE-Kennzeichnung verfügen.
Übliche Genauigkeit für Thermometer mit Fühler ist z. B. ± 0,1°C / 0.2°F im Messbereich von 35,5°C - 42°C. Infrarotthermometer, die berührungslos messen und im medizinischen Bereich verwendet werden, haben eine Genauigkeit von ±0,2 °C bis ±0,3 °C. Beim Infrarotthermometern könnte ich mir allerdings vorstellen, dass das Fell eines Pferdes zu einer Messabweichung führt.
Carola Schiller: Dann könnte es also an der Qualität des Menschen-Thermometers gelegen haben?
Christiane: Wenn ein Fieberthermometer mit CE-Kennzeichnung in Verkehr gebracht wird, sollte es keine eklatanten Unterschiede in der Messgenauigkeit geben. Mit der CE-Kennzeichnung bringt der Hersteller zum Ausdruck, dass er die besonderen Anforderungen (z. B. Normen) an das von ihm vertriebene Produkt kennt und diese eingehalten werden.
Selbstverständlich kann es Unterschiede in der Qualität der Geräte geben, aber das betrifft eher die verwendeten Materialien usw. - bei einem Test der Stiftung Warentest wurde in 2021 sogar ein recht günstiges Modell am besten bewertet.
Man muss natürlich auch beachten, dass ein NTC (der Sensor) mit der Zeit driften kann, dies könnte bei einem mehrere Jahre alten Fieberthermometer eine Erklärung für die unterschiedlich gemessenen Temperaturen sein. Digitale Thermometer sollten nach einiger Zeit überprüft und ggf. ausgetauscht werden, eine Kalibrierung ist bei privater Nutzung eher unüblich.
Eine höhere Körpertemperatur am Abend ist übrigens auch ganz normal, da die Körpertemperatur im Laufe des Tages immer leicht ansteigt.
Mir erscheint am wahrscheinlichsten, dass die verwendeten Fieberthermometer für Menschen bereits länger im Einsatz waren und sowieso einmal ausgetauscht hätten werden sollen und das neue Gerät für Großpferde einfach tiefer in den Körper eingeführt wurde.
Vielen Dank an Christiane Rippl